Originally published in Die Tageszeitung, Berlin, 2000/10/23.

Denkmal der Labormaus

39 Künstler malen sich die genetische Revolution aus: Die Ausstellung
"Paradise Now" in New York

von THOMAS GIRST

Jacques Derrida lässt nicht grüßen. Neben weiteren prominenten Namen findet
sich im Gästebuch von "Paradise Now" einzig die Signatur des Philosophen.
Andere Besucher der New Yorker Galerie "Exit Art" sind da kommunikativer:
Wenige Seiten später warnt eine anonyme, aufgebracht wirkende Handschrift vor
einem in den USA angeblich weit angewendeten genmanipulierten Impfstoff gegen
Hepatitis B, "der die Gesundheit tausender Amerikaner gefährdet", während "in
Frankreich bereits 15.000 Betroffene gerichtlich dagegen vorgehen".

Es ist diese Art von Resonanz, die sich Marvin Heiferman und Carole Kismaric,
die beiden Kuratoren von "Paradise Now", wohl gewünscht haben. Die
Ausstellung betrachten sie als diskursiven Raum, in dem derzeit 39 Künstler die
Implikationen der genetischen Revolution ausmalen: Fragebögen zur
Genwissenschaft liegen aus, es gibt Verweise auf zig Kundgebungen und
Internetprojekte, und das Rahmenprogramm bietet tägliche Führungen oder
Podiumsdiskussionen mit Künstlern und Wissenschaftlern. Die Exponate selbst
reflektieren die gegenwärtige Aufbruchstimmung, sind Warnmale und zugleich
Wegweiser in eine schöne, neue Welt. Eduardo Kacs große Multimediainstallation
"Genesis" (1999) etwa übersetzt die biblische Aufforderung Gottes zur
Unterwerfung der Erde ins Morsealphabet. Von dort wird die Schrift in Sequenzen
übertragen, die aus den vier Buchstaben des genetischen Codes bestehen: G, T, C
und A. Aus dieser Kombination ließ Kac ein Gen entwickeln, das er auf lebende
Bakterien übertrug, die nun mikroskopisch vergrößert betrachtet werden können.
Außerdem bietet "Genesis" jedem Internetbenutzer die Gelegenheit, unter
www.ekac.org besagte Bakterien mit ultraviolettem Licht zu "beschießen", um
eigene Mutationen zu kreieren.

Wolpertinger per Mausklick

Die Werke anderer Künstler nehmen sich dagegen fast herkömmlich aus. Alexis
Rockmans plakativ-surrealistisches Gemälde "The Farm" (2000), das sich grob an
Joan Mirós gleichnamiges Gemälde von 1921/22 anlehnt, zeigt überzüchtete Tiere
und Pflanzen, während ein zähnefletschender "Kelloggs-Frosties"-Tiger vor den
Gefahren genmanipulierter Lebensmittel warnen soll. Und Bryan Crocketts
fleischfarbene Marmorskulptur "Oncomouse" ist eine Furcht erregende
Zwei-Meter-Darstellung der ersten, vor einigen Jahren für onkologische
Forschungszwecke gezüchteten und gleichfalls patentierten Labormaus mit
menschlichem Immunsystem. Das Züchten selber hat Brandon Ballengée
kurzerhand in einen Ausstellungsraum von "Paradise Now" verfrachtet. Unter
Mithilfe von etwa 20 Fröschen bemüht er sich darum, eine womöglich
ausgestorbene Amphibienart durch kontrollierte Kopulation verschiedener
Froscharten wiederauferstehen zu lassen. Im Cyberspace geht das natürlich alles
schneller. Dort kann man sich, der Künstlerin Eva Sutton sei Dank, seinen
ureigenen Wolpertinger via Mausklick in Windeseile zurechtbasteln. Ihr "Hybrid"
(2000) bietet die Möglichkeit der schier unendlichen Kombination Hunderter von
Körperteilen verschiedener Spezies.

Ganz "Paradise Now" wimmelt von Chromosomen, DNA-Doppelhelices,
Diagrammen und Genomsequenzen. Ab und an bleibt es allerdings beim guten
Willen. So lädt eine interaktive Computersimulation von Nancy Burson die
Besucher der Ausstellung dazu ein, sich auf dem Bildschirm in einer anderen
Hautfarbe zu betrachten. "The Human Race Machine" (2000) offeriert die Wahl
zwischen "Weiß", "Schwarz", "Asiatisch", "Hispanisch" und "Indisch". Denn, so
lässt die Künstlerin wissen: zu 99,97 Prozent sei unser aller DNA identisch.

Gegen solch missionarische Zeigefingerdidaktik verwehrt sich die kalifornische
Künstlerin Natalie Jeremijenko: "Wer in den menschlichen Genen die alleinige
Erklärung unserer Identität sucht, vernachlässigt sowohl die politischen wie
sozialen Faktoren, die auf unsere Entwicklung einen entscheidenden Einfluss
haben." Auf einer im voll besetzten Theatersaal von "Exit Art" anberaumten
Podiumsdiskussion wettert sie gegen den Titel der Ausstellung. "Die
Entschlüsselung der DNA ist kein Lesen im ,Buch des Lebens' ", sagt sie. Hier
würden falsche Metaphern gebraucht, um die Wichtigkeit der Genforschung zu
unterstreichen und deren finanzielle Unterstützung zu sichern - eine Tendenz, die
den Sponsoren von "Paradise Now" geschuldet sei.

Bloß angemaßte Kompetenz der Künstler

Generelle Kritik müssen aber auch die Künstler einstecken. Kategorisch spricht
sich eine Biologiestudentin gegen deren Selbstverständnis als Ombudsfrauen und
-männer der Öffentlichkeit aus: Der Laie könne sich durch Medien und Internet
ein viel genaueres Bild der Genrevolution verschaffen als durch Künstler, die meist
nur eine sehr periphere Ahnung von jener Wissenschaft hätten, die sie in ihren
Werken zitieren.

Solche Scharmützel am Rande der Ausstellung zeigen zumindest, dass eine breitere
öffentliche Diskussion fehlt. Im laufenden Wahlkampf um die US-Präsidentschaft
etwa spielen Fragen der Gentechnologie keine Rolle. Dagegen hat sich
"Titanic"-Regisseur James Cameron des Themas angenommen. Auf dem
Fernsehsender "Fox" läuft "Dark Angel", eine Serie um eine genmanipulierte,
schöne Heldin, die mit elegant ins Nackenfleisch tätowiertem Strichcode von
Abenteuer zu Abenteuer tingelt, als Fleisch gewordenes Lob auf die Manipulation
des Erbmaterials.

Im Kontrast zu solchem Zukunftsglauben artikuliert sich in "Paradise Now" ein
gewisses Unbehagen. Iñigo Manglano-Ovalles "Banks in Pink and Blue" (2000)
besteht aus Samenbanken, deren Aluminiumbehälter Sperma von 100
Testpersonen in flüssigem Stickstoff aufbewahren. Im blau markierten Kanister
befinden sich die männlichen, im rosa markierten die weiblichen Spermien. Die
Urheberrechtsverträge der Spender sind an den giftgrünen Ausstellungswänden
angebracht.

Diese Behältnisse machen nachdenklich - vor allem dann, wenn ein paar Straßen
weiter auf dem Campusgelände der NYU, auf häuserwandhohen Plakatwänden um
die von wohlhabenden, aber unfruchtbaren Paaren begehrten Eier der
intelligentesten und hübschesten Studentinnen geworben wird. Das Geld für ein
solches Ei kann monatelanges Kellnern aufwiegen.

"Paradise Now", bis 28.10., New York. Weitere Informationen: www.exitart.org
und www.geneart.org

taz Nr. 6277 vom 23.10.2000, Seite 14, 214 Kommentar, THOMAS GIRST, Rezension

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