Originally published in English and German in Teleskulptur, RichardKriesche, Editor (Graz, Austria: Kulturdata, 1993), pp. 48-72. Translationrevised by Göetz Greiner.
Telepresence Art
Eduardo Kac
Der "Wert" einzelner Künstlerläßt sich nach Duchamp derart berechnen, wie sehr sie das Wesender Kunst hinterfragten: was, anders ausgedrückt, heißt: ãwiesie die Kunst konzeptionell erweitern" oder was war vor ihrem Schaffennoch nicht da. Künstler hinterfragen das Wesen der Kunst, indem siediesbezüglich neue Thesen aufstellen. Um dies machen zu können,darf man sich nicht mit der überlieferten "Sprache" traditionellerKunst beschäftigen, denn diese Tätigkeit basiert auf der Annahme,daß man allein auf eine einzige Art und Weise Kunstthesen formulierenkönne. - Joseph Kosuth (Art After Philosophy, 1969).
Innerhalb weniger Stunden und Tage, nichtMonate, kann man die ganze Erde überfliegen. Wir haben das Kino undFarbfernsehen sowie das von Menschenhand geschaffene Lichterschauspielvon Las Vegas oder die Wolkenkratzer von New York City. Die ganze Weltbietet sich zum Ansehen an, und die ganze Welt kann vom Wohnzimmer auszusehen, wie Menschen auf dem Mond spazierengehen. Man kann ganz gewißnicht erwarten, daß es die Kunst oder Gemälde und Plastikenmit solchen Sinneserfahrungen aufnehmen sollen. - Joseph Kosuth (Art AfterPhilosophy, 1969).
Vorkenntnisse über den Kunstbegriffbzw. über die Begriffe des einzelnen Künstlers sind notwendig,will man die zeitgenössische Kunst schätzen und verstehen. -Joseph Kosuth (Art After Philosophy, 1969).
Einleitung
Diese Abhandlung erörtert eine Kunstform, die auf der Integrationvon Telekommunikation, Robotik, neuen Schnittstellenarten zwischen Menschund Maschine sowie Computern basiert. Die "Telepräsenz-Kunst",von der ich hier spreche, kann als im breiteren Rahmen der elektronischeninteraktiven Kunst angesiedelte Kunstform verstanden werden. Im optimalenFall impliziert interaktive Kunst eine Akzentverschiebung weg von der Form(Komposition und verstärkt hin zum Verhalten des Künstlers mitBedeutungsinhalten und zum in-den-Vordergrund-stellen des Publikums, dasnunmehr, zum "Teilnehmer" geworden, eine signifikante und aktiveRolle bei der Gestaltung der eigenen Erfahrungsbereiche übernimmt.Die Rolle des Künstlers in der interaktiven Kunst besteht nicht etwain der einseitigen Verschlüsselung von Aussagen, sondern vielmehrin der Festlegung der Parameter des offenen Kontext, in welchem sich besagteErfahrungen entfalten sollen. Mir scheint, als wäre einige Verwirrungaufgekommen durch den fast nicht auseinanderzuhaltenden Gebrauch der BegriffeCyberspace, virtuelle Realität und Telepräsenz in neuesten Theorienund Kritiken zur elektronischen Kunst. Diese Abhandlung konzentriert sichzwar auf die Telepräsenz als neues Ausdrucksmittel in der Kunst, dochmöchte ich zunächst die Bedeutung dieser drei Wörter klären.Zweitens werde ich versuchen zu belegen, daß die Telepräsenzeine neue Art von kommunikativer Erfahrung ist. Drittens werde ich dieVorrangstellung der Echt-Zeit vor dem Echt-Raum darlegen. Insofern siediese neue Art von kommunikativem Ereignis und die Telepräsenz-Kunstbetrifft. Viertens werde ich einige kulturelle über den engen Rahmender wissenschaftlichen Simulation hinausgehende Implikationen von Telepräsenzkommentieren. Abschließend werde ich eine kurze Diskussion überdie Telepräsenz-Installation "Ornitorrinco on the Moon"anführen, die eigens für diese Veranstaltung von mir und Ed Bennetgeschaffen wurde. Im Rahmen dieser Abhandlung werde ich durchwegs das WortMedien verwenden, um sämtliche Systeme zu bezeichnen, welche die Übertragungvon Daten von einem Ort zum anderen erlauben (Fernsehen, Telefon, Modemusw.). Den Begriff Massenmedien werde ich spezifischer einsetzen, um Systemezu bezeichnen, welche Daten in eine Richtung vom einen Ort zu vielen anderenübertragen (Fernsehen, Radio usw.).
Cyberspace, Virtuelle Realität und Telepräsenz
Das Wort "Cyberspace" wurde von William Gibson in seinem Science-Fiction-Roman"Neuromancer" geprägt, wo es folgende Bedeutung hatte: "einegrafische Darstellung von Daten, die den Speichern sämtlicher Computerim menschlichen System entnommen wurden". Das Präfix "Cyber-",wie es hier verwendet wird, entstammt der "Kybernetik" (aus demgriechischen "kubernetes": Steuermann) und wurde erstmals inden vierziger Jahren von Norbert Wiener vorgeschlagen, um die Steuerungund die Kommunikation in Tieren und Maschinen zu bezeichnen. In der Kybernetikvereint der Begriff Datenübertragung biologischer und physikalischerWissenschaftszweige und umfaßt in einer allgemeinen Wissenschaftautomatische Mechanismen, Hirntätigkeit und das zentrale Nervensystem.Themenbereiche, die üblicherweise als getrennt angesehen wurden, wieetwa Mechanik, Biologie und Elektrizität, werden im Rahmen der Diskussionüber selbststabilisierende Steuerungstätigkeit und Kommunikationmiteinander in Verbindung gebracht - Mensch und Maschine werden analogbetrachtet. Ungeachtet der Relevanz, der herkömmliche Gebrauch desWortes Speicher (engl. memory = Gedächtnis), um die Datenablageeinheiteneines Computers zu bezeichnen, ist ein Beispiel für den tiefgreifendenEinfluß der kybernetischen Theorie. Ebenfalls ist ein Beispiel fürden Versuch dieser Theorie, die Bedeutung von traditionellen Begriffender Philosophie wie etwa Seele, Leben, Wahl und Gedächtnis zu untergraben,die - so Jacques Derrida - "Bis vor kurzer Zeit dazu dienten, Menschund Maschine gegeneinander abzugrenzen"2 - Cyberspace ist demzufolgeein synthetischer Raum, in dem ein mit passender Hardware ausgestatteterMensch agieren kann, und zwar auf der Grundlage von visuellem, akustischemund zuweilen haptischem Feedback, das durch Software erzeugt wird. DasWort "virtuelle Realität", das von Jaron Lanier3 gemünztwurde, ist ein allgemeinerer Begriff als Cyberspace. "Virtuelle Realitätbeschreibt den neuen Tätigkeitsbereich, der sich der Förderungvon menschlicher Aktivität in synthetischen Umgebungen widmet. DieseUmgebungen sind Bilder, die Computerdaten darstellen.
Das Wort "virtuell" wie es im Computerjargon verwendet wird(z.B. "virtueller Speicher"), läßt sich auf eine frühereVerwendung in der Optik zurückverfolgen, in der ein virtuelles Bildjenes ist, das man zum Beispiel in einem (flachen) Spiegel sieht. Einekurze Definition von "virtuelles Bild" erklärt, daßein solches "an einem Punkt gesehen wird, von wo aus die Lichtstrahlenanscheinend auf den Betrachter zukommen, wobei dies jedoch nicht wirklichder Fall ist"4 . Virtuelle Bilder stehen im Gegensatz zu den sogenanntenechten Bildern, die eigentlich außerhalb eines (konkaven) Spiegelserzeugt werden. Ein echtes Bild wird erzeugt "an einem Punkt, dendie in die Augen des Betrachters eindringenden Lichtstrahlen tatsächlichpassieren".5 "Virtuell" bedeutet das, was sich im Spiegelund außer Reichweite befindet "echt" hingegen das, wassich außerhalb des Spiegels befindet und an unserem dreidimensionalenkörperhaften Raum teilhat. Betrachten wir die Oberfläche desSpiegels, so wie wir die Oberfläche des Bildschirmes betrachten, alsGrenze zwischen zwei Räumen - dem körperlichen und dem dargestellten- so merken wir, daß das digitale Bild, im Gegensatz zum spekulären,mittels Kathodenstrahlen, die tatsächlich aus dem Inneren herausprojiziertwerden, am Bildschirm erzeugt wird. Das digitale Bild am Bildschirm bedarfkeiner externen Beleuchtung, wie sie ein Spiegel zur Erzeugung eines Bildesbenötigt. Das digitale Bild am Schirm projiziert Licht auf uns. Esdringt in unsere körperliche Realität ein. Die virtuelle Realitätverbindet die Vorstellungen von greifbarer (echter) Körperlichkeitund ungreifbarer (virtueller) Darstellung. Um die virtuelle Realitätzu erleben, muß man sich in das virtuelle Bild begeben, d.h. manmuß in den Cyberspace hineinlachen. Die beiden Begriffe sind miteinanderverwoben. Was die Telerepräsenz angeht - die Verbindung von Robotikund Telematik - so müssen wir den Kurzroman "Waldo" vonRobert Heinlein, der in den vierziger Jahren geschrieben wurde, zu Rateziehen, um den fiktiven Ursprung des Begriffes orten zu können. Heinleinerzählt die Geschichte von Waldo F. Jones, einem an einer Behinderungleidenden Genie, der sich ein schwereloses Zuhause in einer Umlaufbahnum die Erde baute. Unter Einsatz seiner kraftlosen Muskeln, ohne die Einschränkungder Schwerkraft, entwickelte er eine Hardware ("Waldoes"), diees ihm ermöglichte, verschiedene Teleoperationen auf der Erde durchzuführen.Er konstruierte Waldoes mit verschiedenen großen Roboterhänden,deren Handflächen von 1,25 cm bis zu über einem Meter maßen,die auf die Steuerung durch seine Arme und Finger reagierten. "Diegleiche Änderung der Schaltungen, die eine andere Größevon Waldo automatisch steuerte, erledigte die Änderung des Abtastschenkels,um so die Vergrößerung stärker bzw. geringer werden zulassen, damit Waldo auf seinem Stereoempfänger stets ein "lebensgroßes"Bild seiner anderen Hände vor sich sehen konnte".6 Als MarvinMinsky den bahnbrechenden Artikel "Telepresence" schrieb, erkannteer diese Vision Heinleins an und schlug vor, daß man zwecks einerumfassenden Aufwandersparnis bei Forschungsarbeiten im Bergbau, im nuklearenBereich, in der Raumfahrt und unter Wasser anhand dieser Technik entwickle.Minsky: "Man überlege bloß, wieviel mehr wir hättenlernen können, hätten wir ein ständiges Forschungsfahrzeugauf dem Mond. Die Lichtgeschwindigkeitsverzögerung zwischen Erde undMond wäre kurz genug, um eine langsame, doch produktive Fernsteuerungzu erlauben".8 Im selben Artikel erklärte Minsky auch den Ursprungdes Wortes "Telepräsenz", das - wie er schreibt - "vonmeinem Futuristenfreund Pat Gunkel vorgeschlagen wurde".9 Die Telepräsenz,die vor dreizehn Jahren genauso unwahrscheinlich erschien, als zu der Zeit,da Heinlein "Waldo" schrieb, entwickelt sich langsam zu einemneuen Wissenschaftszweig. Im Prinzip treffen Telepräsenz und virtuelleRealität nur dann aufeinander, wenn ein Mensch, der in die synthetischeUmgebung des Cyberspace eingetaucht ist, mittels Fernsteuerung einen echtenTeleroboter in unserem greifbaren Raum lenken und Feedback aus seinen Tele-Handlungenerhält. Andererseits versuchen Forscher eine virtuelle Realitätauf Netzwerkbasis zu implementieren. Das heißt, daß sich mehrerePersonen aus verschiedenen Ländern in einer fremden Datenbank treffenund durch ihre grafischen Projektionen via Telekommunikationssysteme interagierenkönnten. In diesem Fall könnten wir bereits davon sprechen, daßman "im Cyberspace telepräsent sei". Die Telepräsenzwird von der Wissenschaft als pragmatisches und operationales Mittel verfolgt,das darauf ausgerichtet ist, robotische und menschliche Erfahrungen miteinandergleichzusetzen. Ziel ist es, an einen Punkt zu gelangen, wo die anthropomorphischenEigenschaften des Roboters den menschlichen Bewegungsnuancen gleichwertigwerden. Bei dieser Suche nach einem "operationalen Double", umes mit dem Ausdruck Baudrillards zu sagen, werden Menschen mit elastischerRüstung - so glaubt die Wissenschaft - das quantifizierbare Gefühldes "Anwesendseins" erleben. Es ist zwar klar, daß es inZukunft immer mehr zu Routine wird, daß man via TelepräsenzHandlungen durchführen wird, doch glaube ich nicht, daß es dieFähigkeit, bestimmte Aufgaben erledigen zu können, was die Wissenschaftfasziniert, das sein wird, was Künstler die mit der Telepräsenzarbeiten, interessiert. Ganz bestimmt ist es nicht das, was mich reizt.Bei der Vorstellung von Telepräsenz als Kunstform geht es nicht umden technischen Sachverhalt, um das unglaubliche Gefühl des "Anwesendseins"oder um irgendeine praktische Anwendung, deren Erfolg am Erreichen einesZiels gemessen wird. Ich sehe die Telepräsenz-Kunst als Mittel, umdie unidirektionalen Kommunikationsstrukturen zu hinterfragen, welche sowohldie klassische Kunst (Malerei, Bildhauerei) als auch die Massenmedien (Fernsehen,Radio) kennzeichnen. Ich sehe die Telepräsenz-Kunst als Mittel, aufästhetischer Ebene den durch Fernsteuerung, Fernvision, Telekineseund Echtzeitaustausch von audiovisuellen Daten herbeigeführten kulturellenWandel auszudrücken. Ich sehe die Telepräsenz-Kunst als Herausforderungan das teleologische Wesen der Technik. Für mich schafft die Telepräsenz-Kunsteinen unikalen Kontext, in dem die Teilnehmer dazu aufgefordert werden,erfundene fremde Welten aus Perspektiven und mit Maßstäben zuerleben, die nicht den menschlichen entsprechen.
Telepräsenz: Ein neues Kommunikationserlebnis
Es steht fest, daß das herkömmliche Sender-Empfänger-Modellder semio-linguistischen Kommunikation nicht mehr ausreicht, um das multimodaleWesen vernetzter, gemeinschaftlicher, interaktiver Telekommunikationsereignissezu beschreiben, die heute am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts fürden Informationsaustausch charakteristisch sind, sei es in der Kunst, seies in unserem Alltagsablauf.10 Durch die Telepräsenz - als Mischformaus Robotik und Telematik - wird die Lage nur noch komplexer. Bei TelepräsenzVerbindungen werden Bilder und Töne gesendet, jedoch gibt es keinen"Sender", der versucht, bestimmte Inhalte an einen "Empfänger"zu übermitteln. Die Telepräsenz ist ein individualisiertes, bidirektionalesErlebnis und unterscheidet sich als solches sowohl vom dialogischen Erlebnisder Telefonie als auch vom unidirektionalen Empfang einer televisionärenNachricht. Wir sprechen von den Massenmedien als Mittel der Kommunikation,doch bei genauerer Betrachtung der Logistik der Massenmedien, erkennenwir, daß das von ihnen hervorgebrachte tatsächlich Nichtkommunikationdarstellt. Baudrillard sagt, daß Massenmedien antimediatorisch seien,denn die Kommunikation sei "ein Austausch, (...) ein Raum der Reziprozitätfür Gesprochenes und Antwort". "Worin unterscheidet sichdieser Raum der Reziprozität von jenem Raum des Sender-Empfänger-Modells,der mittels Feedback umkehrbar wird? Anders ausgedrückt: befindetsich ein Fernsehzuschauer, der beim Sender anruft und durch Äußerungseiner Meinung an einer Umfrage teilnimmt, in einem Raum der Reziprozität?Dieser Meinung ist Baudrillard nicht: "Die Gesamtheit der bestehendenMedienarchitektur fußt auf folgender Definition: sie sind etwas,was stets eine Reaktion - und so auch jedweden Austauschprozeß -unmöglich machen (außer in den verschiedenen Formen von Reaktionssimulation,wobei sie selbst in den Sendeprozeß integriert sind und dabei denunilateralen Charakter der Kommunikation nicht beeinträchtigen). Diesist die wahre Abstraktion der Medien. Und darin hat das System gesellschaftlicherSteuerung und Macht seine Wurzeln".12 Offenbar schafft die Telepräsenz,egal ob es dabei um einen Austausch zwischen zwei Interlokutoren geht,diesen Raum der Reziprozität, der in den Massenmedien fehlt. Baudrillardformuliert klar das Problem der fehlenden Reaktion (Reaktionsunfähigkeit),doch wollte man die Möglichkeit der Reaktion (Reaktionsfähigkeit)im bestehenden Aufbau der Telekommunikationsmedien wiederherstellen, sowürde das bedeuten, die Zerstörung der bestehenden Medienstrukturzu provozieren. Und eben das, wie er schnell betont, sei - zumindest theoretisch- die einzig mögliche Strategie, denn bemächtigte man sich derMedien oder ersetzte man deren Inhalte durch neue, so hieße das,das Monopol auf verbalem, visuellem und auralem Diskurs aufrechtzuerhalten.Die Vorstellung von einer Untersuchung der Struktur der Massenmedien sowievon der Schaffung paralleler Strukturen, die sich dem beredsamen Wesendes unidirektionalen Sendens widersetzen, ist, so glaube ich, auseinandersetzen,jedenfalls von Relevanz. Seit den sechziger Jahren, als Video und Nachrichtensatellitenrichtungsweisend für die Grammatik des Fernsehens wurden, konnte manmit zunehmender Häufigkeit beobachten, wie viele wichtige sozialeEreignisse (sowohl progressiver als auch konservativer Art) als Medienereignisseerlebt wurden. Neueste Beispiele hierfür waren zum Beispiel die historischeDemokratiebewegung in China oder der Golfkrieg. Nicht etwa, daß dieseEreignisse zum Inhalt spezieller Sendungen geworden wären: das neuePhänomen besteht darin, daß für uns diese Ereignisse inden Medien stattfinden. Daher darf es nicht verwunderlich erscheinen, daßdas chinesische Volk amerikanische Reporter als Helden feierte und dieseaufforderte "Bringt unsere Story raus!" oder daß Raketenbeim Anflug aus eigener Sicht Bilder ihrer Ziele sendeten, bis hin zumZeitpunkt der Detonation, als dann der Zuschauer nur mehr einen Bildschirmvoller Störungen sah. Was wir hierbei beobachten können, ist,daß sich die Bedeutung von einzelnen Handlungen nicht mehr ganz alleinaus den Handlungen selbst, aus Zwiegesprächen zwischen beiderseitspräsenten Interaktoren ergibt: vielmehr wird diese Bedeutung nunmehrdirekt in das Reich der Reproduzierbarkeit, in das Reich des allgegenwärtigen,unidirektionalen Zeichens hinein erzeugt. Heute abstrahieren die Telekommunikationsmedienscheinbar alles, angefangen von ihrem eigenen pseudomediatorischen Prozeß,bis hin zum Völkermord. Alles wird abstrakt, spektakulär und- durch eine perverse Verdrehung - unterhaltend. Die Telekommunikationsmediennegieren heute die Unterscheidung zwischen sich selbst und dem, was früherals etwas von ihnen Getrenntes, etwas ganz unterschiedliches und unabhängigesangesehen wurde - etwas, was man einst Realität nannte. "Hyperreal"bzw. "Hyperrealität" nennt Baudrillard das Fehlen einerabsoluten Unterscheidung zwischen Zeichen (oder Form bzw. Medium) und Referent(oder Inhalt bzw. Realität) als stabile Einheiten. In seiner wohlgefeiertesten Abhandlung "The Precession of Simulucra" anerkennter wiederholt die Erkenntnis McLuhans, wonach im Zeitalter der Elektronikdie Medien nicht mehr von ihrem Inhalt unterscheidbar seien. McLuhan warklar, daß es das neue Muster sei, das durch ein neues Medium bzw.eine neue Technik entsteht, das die sozialen Folgen eines Mediums odereiner Technik auslöst - und nicht etwa der Inhalt einer bestimmtenSendung.
Baudrillard geht jedoch noch weiter, indem er sagt, daß es heute"kein Medium im wörtlichen Sinne mehr gibt: heute ist das Mediumungreifbar, diffus und in der Realität aufgelöst - man kann nichteinmal mehr sagen, daß letztere durch das Medium verzerrt würde".13Man könnte sagen, daß die Verschmelzung des Mediums mit derRealität für die Telepräsenz in hohem Maße zutrifft,da man hier konkrete Handlungen und Veränderungen in der realen Weltaus weiter Ferne durchführen kann. Das Fernsehen spielt hier einebesonders wichtige Rolle, da es das Massenmedium schlechthin ist, das einflußreichsteMedium der ganzen Welt (im Vergleich zu Büchern, Filmen, Zeitschriften,Radio, Zeitungen, Computern usw.). Es ist leicht ersichtlich, daßder Einfluß des Fernsehens noch stärker wird, wenn das High-Definition-Fernsehenund der Computer einmal integriert sein werden bzw., sobald das faseroptischeNetzwerk so gängig wie der introspektive Walkman geworden ist. Icherwähne den Walkman deswegen, weil man ihn in seiner Funktion alsprivate Sinneserfahrung als Epiphänomen einer Gesellschaft betrachtenkann, das sich aus dem öffentlichen Raum zurückzieht. Fern desöffentlichen Raumes erfahren wir die Sozialisierung in Form von Telefongesprächen(oder gar Telefonsex) oder mittels des elektronischen Agora Fernsehens(bzw. E-Mail-Systemen oder Netzwerken wie etwa das französische Minitel).Immer mehr wird das einst als "direktes" Erlebnis angesehenePhänomen zu einer vermittelten Erfahrung, ohne daß es uns wirklichbewußt wäre. "Kontakt aufnehmen" (Kontakt!) heißttelefonieren, wozu uns die allgegenwärtige Werbung ständig auffordert.Heute heiraten Menschen, die sich zuvor über Internet, das weltweiteComputer-Netzwerk,14 persönlich kennengelernt haben. Aus technischerSicht wird es sicher nicht mehr lange dauern, bis es gang und gäbewird, daß wir jemanden aus weiter Ferne mittels Force-FeedBack-Gerätenper Telefonat ãberühren" können. Wie schon in HeinleinsRoman "Waldo" besteht der Traum darin, dort zu sein, ohne vonhier je weggegangen zu sein. Auf verschiedenen Ebenen ordnen wir den lokalenRaum der Fernhandlung unter und befürworten so das, was Baudrillardsehr treffend "die Satellitisierung der Realität15 nannte. Waswir unter Kommunikation verstehen, verändert sich, weil physikalischeEntfernungen im öffentlichen Raum keine absolute Einschränkungfür bestimmte physische Erfahrungen mehr darstellen (Hören, Sehen,Tasten, Propriozeption - d.h. Wahrnehmung der Gliedmaßenstellung,der Beweglichkeit usw.), wie es früher der Fall war. In seiner Abhandlung"Signature Event Context" wies Derrida auf den multivokalen Charakterdes Wortes Kommunikation hin. "Wir sprechen auch davon, daßverschiedene oder weit entfernte Orte mittels einer "Verbindungsstraße"oder Öffnung miteinander kommunizieren. Bei dem, was hier in diesemSinne zustande kommt, dem Gesendeten, Kommunizierten, geht es nicht umPhänomene der Bedeutung bzw. des Signifikats. In solchen Fällenhaben wir es weder mit semantischen oder begrifflichen Inhalten noch miteiner semiotischen Operation und noch weniger mit linguistischem Austauschzu tun.16 Es ist diese Öffnung, diese "Verbindungsstraße"zwischen zwei Räumen, die die Eigenschaften des jeweiligen von derTelepräsenz erzeugten Kommunikationserlebnisses festlegt. Diese Öffnungbildet keinen Kontext für "Eigen-Äußerung" (desAutors bzw. des Teilnehmers); sie ist nicht der Kanal, durch den man semiologischkodierte Nachrichten kommuniziert; sie ist kein Bildraum, in dem formelleFragen der Ästhetik strukturell relevant sind; sie ist kein Ereignis,dem man spezifische Bedeutungsinhalte entnehmen kann. Wenn wir die TheseBaudrillards bedenken, wonach eine Wiederherstellung der Reaktionsfähigkeitder Medien eine Neugestaltung der Medienarchitektur bedeuten würde,so mag dies ein Gebiet sein, das von der Kunst kritisch untersucht werdensollte. Der Aufbau der Telepräsenz-Installationen, die ich zusammenmit Ed Bennett schaffe, umfaßt eine reguläre Telefonleitung,über die die Teilnehmer einen Teleroboter echtzeitlich steuern. Durchden Teleroboter sammelt der Teilnehmer Bilder und hört Geräuschein der Umgebung. Durch ihren aufgelösten Aufbau vermitteln unsereInstallationen, so glaube ich, eine Widerspiegelung der aktuell relevantenFragen, ohne diese als "Inhalt', als getrennt von den Materialien,die das Werk selbst bilden, anzusprechen. Das durch die Telepräsenz-Kunsterzeugte Kommunikationsereignis löst im eigenen Bereich die polarisierendenKategorien "Sender" und "Empfänger" auf und stelltdurch beispiellose Umkehrung den primären Sinn des Wortes Tele-Visionwieder her, wodurch der Teilnehmer zur Entscheidung darüber, was undwann er sehen will, befähigt wird.
Echtzeit und die Aufhebung von Entfernung
Im fast subliminalen Bereich erleben wir einen bedeutenden Wandel derArt und Weise, wie wir selbst das Alltäglichste durchführen.Kern dieses Wandels ist offenbar die Tatsache, daß Echt-Raum undder Begriff Entfernung selbst in zunehmendem Maße irrelevant werden,wobei sie nach und nach ihren einst privilegierten Status an die Echtzeitbzw. an die Kommutation von Tönen und Bildern (auch Text) abtreten.Ich glaube, daß dieser nicht zu leugnende Wandel nicht bloßdurch Begeisterung oder Widerwillen zu erklären ist, denn die Technophobieund der Technomessianismus sind nur zwei sich ergänzende Phänomene.Mich interessiert es, zu begreifen, inwiefern diese Veränderung schonbestehende soziale und kulturelle Codes stützen bzw. inwieweit sieneue, andere schaffen werden und dabei neue Kontexte erzeugen, in welchenneue Kunstformen entstehen können. Paul Virilio beschäftigt sichmit solchen Fragen, insofern sie die neue soziale Rolle des Bildes unddas im Entstehen begriffene Gebiet der Telepräsenz betreffen. Anhandder These, das Live-Übertragen von Videobildern über größereEntfernungen werde selbst zu einer neuen Art Schauplatz, zu einer "Tele-topografischenLokalität", erklärt er, daß eine Art Tele-Brücke,bestehend aus Ton- und Bild- FeedBack-Schleifen, den Ursprung bildet fürdie Telepräsenz bzw. die Tele-Realität, in der der Begriff derEchtzeit den Grundausdruck darstellt. Diese Tele-Realität, sagt er,löst in der Echtzeit den Echt-Raum der Gegenstände und Örtlichkeitenab.
Mit anderen Worten: jetzt erkennen wir, wie die Kontinuität derEchtzeit die Kontinuität des Echt-Raumes überwältigt. Mirscheint, als Erleben wir tagtäglich diesen neuen Zustand, etwa wennwir vom Büro oder vom Atelier aus über Fernsteuerung unserenAnrufbeantworter aktivieren, um gespeicherte Nachrichten abzuhörenoder aber auch wenn wir Geld aus einem Bankomaten holen, nachdem wir mitdem Gerät interagiert haben und dieses wiederum mit einem fernen Großrechnerkommuniziert hat. Die Auswirkungen von Faseroptik, Bildschirmen und Video-Kamerasauf unser Sehen und auf unsere Umwelt werden jene Auswirkungen der Elektrizitätim neunzehnten Jahrhundert weit übertreffen: "Um sehen zu können",stellt Virilio fest, "wird es uns nicht länger genügen,die Nacht, die äußere Dunkelheit, zu verbannen. Wir werden auchZeiträume und Entfernungen - das Äußere selbst - auflösen".17Baudrillards Vorstellung der neuen informationellen Landschaft zustimmend,Bringt Virilio den Gedanken vor, wonach wir nicht mehr einen öffentlichenRaum bewohnen oder ihn teilen, wie wir es vor der Stromversorgung unsererStädte noch taten. Unsere Existenz- bzw. Sozialisierungsdomäneist heute das öffentliche Bild in seiner flatterhaften, funktionalenund spektakulären Allgegenwärtigkeit, die die Gewalt überIdentität, Überwachung, Beziehungen, Gedächtnis und - letztlichauch - über Leben und Tod innehat. Der Vorstellung einer Phänomenologieder Wahrnehmung, wie sie von Merleau-Ponty verkörpert wird, brächteer eine Logistik der Wahrnehmung entgegen, deren Bedeutung im durchdringendenBlick der wissenschaftlichen Bildersprache und der Satellitenüberwachungklarer wird, die in wenigen Augenblicken den Körper eines Patientenoder ein feindliches Gebiet kartographiert.
Die Strategie des Sehens wird der Strategie des Angriffes (gegen einenVirus oder eine Armee) vorausgehen und wird an sich eine mächtigeWaffe sein. Mit dem Einsatz von Echtzeit-Video-Überwachungssystemen,der Einführung von Videotechnik in Wohnhäusern und die Popularisierungdes Camcorders und Videotelefons, verändert sich unser soziales Verhalten.Es steht zu erwarten, daß sich Strategien des Sehens auf einer persönlichenEbene entwickeln werden. Für Virilio ist einer der wichtigsten Aspekteder neuen Technologien der digitalen Bilderfassung und des künstlichenSehens, das durch die Opto-Elektronik ermöglicht wurde, die "(Kon-)Fusiondes Realen (oder Operationalen) mit dem Virtuellen", die Vormachtstellungdes "Effektes des Realen"18 vor einem Realitätsprinzip.Mit anderen Worten: auf irgendeine Art und Weise dreht sich heute allesum Bilder. Nicht unbedingt Bilder im herkömmlichen Sinne der Darstellung,sondern Lichtbilder, die Teil der aktuellen Landschaft sind, so wie Endedes neunzehnten Jahrhunderts der elektrische Strom in die Städte eindrang- ein "elektronischer Blitz". Heute sind Bilder die Eindringlinge,und sie werden von den verschiedensten sozialen Gruppen eingesetzt, wieetwa Künstlern und dem Militär. Die Rolle des Bildes, so Virilio,besteht darin, "überall zu sein, die Realität zu sein".19Er unterscheidet gemäß einer klaren historischen Entwicklungdrei Arten von Bilderlogiken. Für Virilio ist die formale Logik desBildes, jene Logik, die im achtzehnten Jahrhundert durch die Malerei, denHolzschnitt und die Architektur erreicht wurde. In der traditionellen bildlichenDarstellung ist es die Komposition der Abbildung, der die primäreWichtigkeit zukommt, wobei der Strom der Zeit relativ irrelevant ist. DieZeit ist absolut. Das Zeitalter der dialektischen Logik ist jenes der Fotografieund der Kinematografie des neunzehnten Jahrhunderts, wo das Bild einervergangenen Begebenheit, einer anderen Zeit entspricht. Letztens ist dasEnde des zwanzigsten Jahrhunderts, mit seinem Video, Computer und seinenSatelliten das Zeitalter der paradoxen Logik, wo Bilder in Echtzeit geschaffenwerden. Bei dieser neuen Art des Bildes hat die Geschwindigkeit Vorrangvor dem Raum, das Virtuelle Vorrang vor dem Realen und deshalb wird dabeiunsere Vorstellung von Realität von etwas gegebenem in etwas Konstruiertesgewandelt. Virilio sagt, daß in gewissem Ausmaß die Lehre derneuen Technologien darin besteht, daß die Realität niemals gegeben,sondern stets erworben oder erzeugt war. Unsere Bilder haben die Realitätnie wirklich reproduziert, sondern ihr vielmehr eine Form gegeben. Unterschiedist der, daß es früher noch möglich war, mit solidererBegründung eine funktionale Unterscheidung machen zu können.Ein Großteil unserer sozialen Erlebnisse vollzieht sich durch Tonund Bilder, die mittels Telekommunikation über die Weltkugel gesendetwerden: normale oder Funktelefone, unidirektionales Fernsehen, pseudointeraktivesCable-Shopping, Desktop-Telekonferenz-Systeme, Fax- und Datenmodems, derneue Armbanduhr-Piepser usw.. In allen Fällen stellt die tatsächlicheEntfernung zwischen zwei Interlokutoren kein Hindernis für die Interaktiondar, denn das, was sie heute in Wirklichkeit trennt, sind die unterschiedlichenZeitzonen. Um 18h in Chicago kann ich meinen Freund in Düsseldorfnicht anrufen, da es dort 1h ist, und dieser schläft.
Die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten ist nicht mehr diegerade Linie, wie es noch im Zeitalter der Lokomotive und des Telegrafswar. Heute, im Zeitalter der Satelliten und der Faseroptik, ist die kürzesteEntfernung zwischen zwei Punkten die Echtzeit. Die Fähigkeit, sofortDaten übertragen, Ton und Bilder sofort senden und empfangen zu können,(sofort: auch immediat, i-mmediat, also ohne sichtbares Medium oder Mittel?),erklärt die schwindende soziale Relevanz der räumlichen Extensitätgegenüber der zeitlichen Intensität. Folglich drückt manGeschwindigkeit nicht mehr bloß in Meilen oder Kilometer in der Stundeaus, sondern auch noch in Baud oder Bytes pro Sekunde. Heute mehr dennje, wenn es uns darum geht, den Körper durch unsere Umwelt zu dislozieren,drücken wir die Kontinuität des Raumes durch eine zeitliche Verschiebungoder Verzögerung aus. Man könnte also (leider?), wie Baudrillardund Virilio, von den Freizeitsimulatoren, von den stationären Reisender Zukunft, vom Teletourismus sprechen, der sich in unseren eigenen vierWänden abspielen wird. In einer Diskussion Über die neuen kulturellenund ästhetischen Verhältnisse einer Gesellschaft, die zunehmendmehr Daten als Gegenstände verarbeitet, erklärt Abraham A. Moles,daß sich heute der menschliche Verstand an diese neue Situation anpassenmüsse, in der Bilder und Realität immer mehr miteinander identifiziertwerden. Das finde ich bezüglich einer angewandten Technologie nirgendsdeutlicher als in den neuen Virtuelle-Realität-Systemen, die von derNASA20 entwickelt werden, die es einem in den Cyberspace eingetauchtenMenschen ermöglichen, aus der Ferne Gewalt anzuwenden. In diesem Fallagiert bzw. arbeitet der Operator oder Anwender gleichzeitig auf der Ebeneder Realität und der Virtualität. "Heute, beim Einsetzendes Zeitalters der Telepräsenz", schreibt Moles, "versuchenwir eine Äquivalenz zwischen Ôaktueller Präsenz' und ÔvorgespielterPräsenz' herzustellen. Diese vorgespielte Präsenz zerstörtdas Ordnungsprinzip, auf dem unsere Gesellschaft bisher aufgebaut war.Wir haben dieses Prinzip das Gesetz der Proximität genannt: das Naheist wichtiger, wahrer oder konkreter als das Ferne, das Kleinere und dasUnzugänglichere (alle anderen Faktoren seien gleich). Wir erstrebenfortan eine Lebensweise, bei der die Entfernung zwischen uns und dem Gegenständlichenfür unsere Wahrnehmungswelt irrelevant wird. In dieser Hinsicht bedeutetdie Telepräsenz auch ein Gefühl der Äquidistanz zwischenallen und allen anderen, und zwischen jedem einzelnen und jedem Weltereignis".21
Diese neue Vermischung von Realität und Bildern und dem "Gefühlder Äquidistanz" ergibt sich - wie die meisten Konsumtechnologien- aus Forschungstätigkeiten, die ursprünglich für strategischeund militärische Zwecke durchgeführt wurden. Die Telepräsenzwird bald aus den Laboratorien herauskommen und zugänglicher werden,wie schon zuvor im Falle des Telefons, des Radios, des Fernsehens und desComputers. Wir werden diese Entwicklung nicht aus den Augen verlieren,obgleich wir noch durch neuartige Bilder verwirrt sind, Bilder, die selbstihre Umwelt beleuchten. Die uns gemeinsame Äquidistanz sieht man alsMedienphänomen, falls man eine derartige Unterscheidung überhauptnoch anstellen kann, wegen des Prozesses der Vermittlung von Echt-Raum,der von Echtzeit-Telekommunikationsgeräten gefördert wird. DieseÄquidistanz bedeutet genauso Annäherung wie Distanzierung. DieUnterordnung des dreidimensionalen körperlichen Raumes der Echtzeitist ein Abstrahierungsprozeß, der stets die Unterscheidung zwischenBildern und der Realität schwächt. Durch sie gelangen in denselben Unterhaltungsbereich Situationskomödien, die tragischen Nachrichtenaus Bosnien oder Somalia und Talk-Shows. Echtzeit-Telekommunikationssystemewerden eingesetzt in offener oder versteckter Unterhaltung, in der Überwachung,für demokratische und antidemokratische Propaganda und für neueArten der Gefangenschaft. Heute findet man rechnerferne Überwachungim öffentlichen Bereich, wie etwa der U-Bahn oder im Privatbereich,wie Büros und Wohnhäusern. Rechnerferne Überwachungssystemegibt es auch für die eigene Wohnung. Während des Blutbades amTien-an-Men-Platz in Peking, warnten chinesische Militärs Journalisten,daß diese erschossen würden, sollten sie Armee-Einheiten aufden Straßen der Stadt fotografieren. Der CBS-NachrichtenkoordinatorDan Rather wurde von den chinesischen Behörden dazu gezwungen, seineSatellitenverbindung abzubrechen. CBS setzte wiederum Videotelefone ("Sender-Empfänger")ein, um Video-Standfotos via das normale Telefonnetz von Peking nach NewYork zu senden, von wo aus sie die restliche Welt erreichten. Reporterwie Richard Roth in Peking verwendeten ein Funktelefon, um vom Tian-an-Men-Platzlive über die Bilder, die die Weltmeinung prägten, im Fernsehenzu sprechen. Während des Golfkrieges veröffentlichte die US-Regierungaufgezeichnete Videosequenzen, die in Echtzeit von einer Rakete aus eigenerSicht gesendet wurden, bis hin zur Detonation. Diese Bilder wurden ausgestrahlt,um die Treffsicherheit der Raketen zu beweisen (was wohl als militärischeVormachtstellung angesehen werden muß). Videotelefone werden aucheingesetzt, um in der eigenen Wohnung gefangengehaltene Mehrfachstraftäterzu überwachen. In manchen Staaten sind Menschen, die der Trunkenheitam Steuer überführt wurden, Gefangene in der eigenen Wohnungund unterliegen strengster elektronischer Überwachung. Ein Computerim örtlichen Polizeipräsidium ruft den Straftäter nach demZufallsprinzip bis zu fünfzehnmal am Tag an und befiehlt ihm ein Bildvon sich, nach einer einfachen Aufgabe, zu senden (etwa: "drehen sieden Kopf nach rechts"), um diese Echtzeit-Handlungen überprüfenzu können. Der Computer verlangt auch vom Straftäter, daßer in einen Alkomaten bläst und ein Bild der Ergebnisse überträgt.Virilio erinnert uns daran, daß durch die Telepräsenz "derBewohner einer telematischen Örtlichkeit in der Rolle eines Demiurgensteht: Zu der Omnivision von Trans-Erscheinungen kommt noch eine zweitegöttliche Eigenschaft dazu, d.h. die Omnipräsenz aus weiter Ferne,eine Art elektro-magnetische Telekinese"22. Der Einsatz von rechnerfernerÜberwachung zwecks sozialer Steuerung hat bereits Wurzeln geschlagenin unseren öffentlichen Bereich, und nun sucht sie in die Privatsphäreunserer Wohnungen einzudringen. Dies ist ein relativ neues Phänomen,und die zeitgenössische Kunst muß sich damit auseinandersetzen,indem sie die gleichen Werkzeuge einsetzt, um den eindringenden, prüfendenBlick von innen kritisieren zu können.
Weniger Simulation, Mehr Stimulation
Betrachten wir die Domäne der Virtualität nicht bloßals Bestrafung, sondern als etwas ganz Normales, indem wir das Polizeipräsidiumzurücklassen und in die korporative Welt zurückkehren, erkennenwir, daß Befürworter der virtuellen Realität gerne andeuten,daß ihre Systeme im Bereich der Simulation und der Visualisierungwahre Wunder vollbringen und weiterhin vollbringen werden. Der Traum vonder Omnivision taucht also wieder auf, diesmal durch Sichtbarmachen desunsichtbaren. Auf der Siggraph 91' in Las Vegas hatte ich Gelegenheit,einige Virtuelle-Realität-Systeme auszuprobieren, die alle in einemRaum waren, in dem die Vorführung "Tomorrow's Realities"stattfand. Es stellte sich als ziemlich interessantes Erlebnis heraus,da ich vergleichen konnte, wie mein Körper reagierte, währendich ungefähr zehn Systeme erlebte. Bei einem der Systeme, das ichausprobierte, ging es eben um die bereits oben erwähnte Vorstellungvon Ersatztourismus und zwar jenes System, das bei mir die lebhaftestenErinnerungen hinterließ: "Mountain Bike with Force Feedbackfor indoor Exercise" von der Universität von Nordcarolina inChapel Hill. Dieses System beinhaltete ein Fahrrad mit zehn Gängen,ausgestattet mit einer Widerstandsvorrichtung am Hinterrad. Währendder Fahrer in künstlicher Landschaft herumfährt, kann er durchDrehen der Lenkstange die Richtung wechseln. Der Fahrer sieht die künstlicheUmgebung mittels einer auf dem Kopf montierten Stereo-Anzeige, der Pedalwiderstandvariiert je nach Bodenbeschaffenheit. Was mich fesselte, war nicht so sehrdie technische Hochleistung, sondern die Reaktion meines Körpers.Mein ganzer Körper war mit dem Fahren dieses Fahrrades beschäftigt,was bedeutete, daß ich nicht nur durch das Gesehene, sondern durchdie Koordination meines ganzen Körpers angetrieben wurde. Ich mußaber zugeben, daß ich nicht vergessen konnte, daß ich zweiwinzige pixelige LCD-Bildschirme sehr nahe vor meinen Augen hatte. DasErgebnis war eine Mischung aus Faszination (durch das kinästhetischeEintauchen in den Cyberspace) und äußerstem Unbehagen (da sichmeine Augen nie ganz an die Bildschirme gewöhnten und mein Körpersich fühlte, als hinge er ganz und gar in der Luft). Das vielleichtAllerwichtigste war, daß ich mich während der ganzen Fahrt mitdemjenigen unterhielt, der die Vorführung beaufsichtigte und so mittelsphatischer Sprache eine Verbindung zur Realität der Außenweltaufrechterhielt. Die Sprache war die einzige Brücke zwischen den zweiWelten, die einzige Verbindung, die mit dabei half, das Gleichgewicht zuhalten und verhinderte, daß mir von dem Erlebnis durch und durchübel wurde. Die Sprache half mir dabei, die Tatsache vor Augen zuhalten, daß ich mich in Wirklichkeit in einem Raum befand, auf einemechten stationären Fahrrad saß, mich jedoch mit einem künstlichenFahrrad fortbewegte und dabei zugleich die Geräusche der künstlichenUmgebung und die Stimme jenes Menschen hörte, doch bloß einedigitale Landschaft sah. Ich brauchte eine Brücke, und die Sprachestellte sie mir zur Verfügung.
Die Rolle der Sprache ist hier einem Erlebnis erstaunlich ähnlich,das ich einmal zuvor gehabt hatte, als ich mich einmal nach einer gut durchschlafenenNacht in einem trance-ähnlichen Zustand fand, nicht ganz schlafend,nicht ganz wach. In meinen eigenen Träumen gefangen, nicht wissend,daß ich tatsächlich sprach und versuchte aufzuwachen, um denGefahren zu entgehen, in welchen ich mich in jenem Moment befand. Schließlichschaffte ich den Übergang in den Wachzustand, nachdem meine Frau michsprechen gehört und mich daraufhin angesprochen hatte. Die Geschichteerzähle ich, weil sie für mich jene Aufregung sehr gut darstellt,die man bei der Erforschung des bidirektionalen Pfades zwischen zwei Erfahrungsebenenerlebt - oder, genauer gesagt, zwischen zwei Räumen. Sprache, wieauf meiner virtuellen Radfahrt, war nicht so sehr Kommunikationsmittelim herkömmlichen Sinne des Wortes, zwischen mir und dem Herrn nebenmir. Sprache war - in diesem spezifischen Kontext - vielmehr ein Kommunikationsmittelzwischen zwei Räumen, wie eine offene Tür, die zugleich trenntund verbindet und dabei das Gefühl von Äquidistanz zwischen zweiZimmern vermittelt. In den Telepräsenz-Installationen, die ich zusammenmit Ed Benett schaffe, verwenden wir Fernsicht, um den Abstand zwischenzwei Räumen zu überbrücken. Diese Fernsicht funktioniertwiederum gleichzeitig auf metaphorischer Ebene. Durch die Schaffung einesKontextes, in dem der Teilnehmer die Fernumgebung durch die Bilder, dieer frei sammelt, erlebt, verwenden unsere Telepräsenz-Installationenden Bildschirm auf metaphorische Weise als etwas, das visuelle Wahrnehmungvermittelt. Die Debatte über direkte oder vermittelte Wahrnehmungder Realität wird heute voller Interesse wiederaufgenommen. In Téléprésence,naissance d'un nouveau milieu d'expérience"23 (Telepresence,Geburt einer neuen Erlebniswelt), erklärt Jean Louis Weissberg das,was er als die phänomenologischen Dilemmata der virtuellen Realitätbetrachtet. Trotz der Tatsache, daß es wieder ein Beispiel dafürist, daß das Wort Telepräsenz zur Beschreibung von Handlungenim Cyberspace verwendet wird, ohne auf die Telerobotik bezug zu nehmen,weist Weissbergs Essay geschickt auf Verbindungen zwischen Merleau-PontysDiskussion über das Sehen und dem, was Weissberg als die "angewandtePhänomenologie der NASA-Laboratorien" bezeichnet. Wie Weissbergandeutet, ordnet Ponty dem jetzigen menschlichen Körper eine hervorgehobeneRolle bei der Gestaltung unserer Wahrnehmung der Welt, bei dem Eintauchendes Körpers in diese Welt zu. In "Eyes and mind" hatte Pontybereits die operationalen Modelle der Wissenschaft als Konstrukte kritisiert,er hatte auch erwähnt, daß Panofsky die Perspektive der Renaissanceso ausgelegt hatte, um Perspektive als eine weitere Form des Weltaufbausdarzustellen. In beiden Fällen sind die Konstrukte dem Körperentnommen, der in das Gefüge der Welt verstrickt ist, die sie erzeugt.
Beschäftigt sich das wissenschaftliche Denken mit "den ausgefeiltetstenPhänomenen, die von dem Apparat eher produziert als von ihm aufgezeichnetsind"24, so versuchte die Renaissanceperspektive ihrerseits eine "exakteKonstruktion" zu ergründen, war aber nur "ein Einzelfall,ein Datum, ein Augenblick in einem poetischen Informationsgefüge jenerWelt, die nach ihr weiterbestand".25 Ponty, der den kartesischen Rationalismusablehnt, erklärt, man könne sich nicht "vorstellen, wieman mit den Gedanken malen könne" und daß in Wirklichkeitder Künstler die Welt in Kunstwerke verwandelt in seinem realen Körper- nicht etwa der Körper als Ansammlung von Funktionen, sonder als"Vernetzung von Sehen und Bewegung".26 Ponty, der die Untrennbarkeitvon Sehen und Bewegung erkennt, betont die Tatsache, daß der Körperin das Sichtbare eingetaucht ist, daß er sieht und gesehen wird,daß er sich selbst sehen sieht. Ortsveränderungen, schreibtPonty, bilden eine "Karte des Sichtbaren", was heißt, daßdas, was sich in Sichtweite befindet, die sichtbare Welt, sich ebenfallsauf einer Karte der Mobilität befindet - "die Welt meiner motorischenProjekte". "Meine Bewegung", schreibt Ponty, ist keine Entscheidung,die ich gedanklich treffe, kein absolutes Handeln, da - aus den Tiefeneiner subjektiven Zuflucht - irgendeine Ortsveränderung vorschiebe,die sich auf wundersame Weise im erweiterten Raum vollzieht. Es ist dienatürliche Folge und der Reifeprozeß meines Sehens".27Schon der Gedanke von Telepräsenz in der Kunst unterstreicht die Vorstellungvon einer "Ortsveränderung, die sich auf wundersame Weise imerweiterten Raum vollzieht". Dieses Wunder wird natürlich nichtetwa durch einen gedanklichen Befehl erreicht, sondern durch den Einsatzbestimmter Instrumente (Teleroboter, Videomodem, Telefon, Videomonitor,Telefonleitung usw.). Diese Ausrüstung, die die Wissenschaft zwecksDatenerfassung einsetzt, wird in der Kunst als Mittel verwendet, um dieKomplexität unserer Wahrnehmung im Medienzeitalter zu beschreiben.Betrachteten wir früher Bilder als bloße Spiegelungen, bildhafteDarstellungen oder gedankliche Erinnerungen, so beherrschen heute elektronischeBilder die Karte des Sichtbaren und der motorischen Projekte der Menschheit.Deswegen sprach Virilio, so erwähnte ich bereits, davon, daßLogistiken der Wahrnehmung eine Phänomenologie der Wahrnehmung ersetzen.Elektronische Kameras dringen in jeden Raum ein (auch bis in die Grenzendes Alls bzw. in den menschlichen Körper während eines chirurgischenEingriffes), und elektronische Bilder auf Bildschirmen werden untrennbarvon den anderen Elementen unserer Umgebung. Dem Bildschirm kommt also einebesondere Bedeutung zu. In unseren Telepräsenz-Installationen bildetder Bildschirm sowohl eine Brücke zu einem anderen Ort als auch das,was das Sehen ermöglicht. Doch trennt dieses Sehen das Gesehene nichtvon dem Ort des Geschehens, es trennt nicht Raum vom Gegenstand, da allesauf die gleiche Ebene gebracht wird. Diese Ebene wiederum ist ein schwarzweißes,aus Pixeln bestehendes Bild, das eine Handlung in Augenblicke auflöst,was die Teilnehmer dazu auffordert, "Karten des Sichtbaren" zuerzeugen. Das Bild mit niedriger Auflösung, das die Brücke zurUmgebung mit niedriger Auflösung bildet, macht auf sich aufmerksamund versucht nicht, sich als jenes klare Fenster zu verkleiden, daßdas kommerzielle Fernsehen sein möchte. Der Bildschirm ist also ganzund gar Teil des Sehprozesses ebenso wie die Bewegungen, die der Teilnehmerim Einklang mit dem Teleroboter durchführt. Das Wichtige hierbei ist,daß wir Menschen nicht etwa deswegen sehen, weil Licht auf Gegenständefällt und unsere Netzhäute reizt, sondern aufgrund eines Codesoder eines Netzwerkes von Bedeutungsinhalten, die existieren, bevor wirsehen, was uns ermöglicht, diese beleuchteten Gegenstände alssinnvolle Formen zu erkennen. "Zwischen dem Subjekt und der Welt",schreibt Norman Bryson, "liegt eingebettet die gesamte Summe allerDialoge, die die Visualität von der Vision - der Vorstellung von direktemvisuellem Erleben - unterscheidet. Zwischen der Netzhaut und der Welt liegteingeschoben eine Wand von Zeichen, eine Wand, die aus allen Mehrfachdiskursenüber Vision besteht, die in den sozialen Schauplatz eingebaut sind.28Diese linguistische Interpretation der Visualität geht mit Ponty konform,wenn dieser sagt, unsere Augen seien "mehr als nur Lichtstrahlenempfänger"und daß die Gabe des Sichtbaren "durch Übung errungen werde".29Diese Interpretation gebraucht die Metapher des Bildschirmes als das, wasunser Erleben vermittelt, ein Bildschirm, der unser Sehen in einem Netzwerkvon sozial festgelegten Bedeutungsinhalten festhält. In diesem Sinneist jede "Präsenz" vielleicht etwas Fernes, etwas weit Abgelegenes,etwas, was zwischen Anwesenheit und Abwesenheit schwankt. Ponty: "voirc'est avoir á distance" oder "Sehen ist Haben aus derFerne".30 Der Einsatz des Videomonitors in unseren Telepräsenz-Installationensoll sowohl Tür oder Gang zwischen zwei Räumen, als auch Metapherfür unser vermitteltes Erleben einer begreifbaren Welt sein. Als Kunstwerkbeschäftigt sich "Ornitorrinco on the Moon" nicht mit genauerSimulation, sondern damit, mit der ästhetischen Stimulation des ErlebnissesAnwesenheit-Abwesenheit bekanntzumachen.
Ornitorrinco on the Moon
Ornitorrinco (portugiesisch für Schnabeltier) nennt sich das Telepräsenz-Projekt,an dem ich seit 1989 zusammen mit Ed Bennett arbeite. In jenem Jahr wurdedas Projekt erstmals umgesetzt, wobei eine Verbindung einerseits zwischenmir und dem brasilianischen Kunstkritiker Reynaldo Roels Jr. in Rio deJaneiro und andererseits Ed Bennett in Chicago" hergestellt wurde.Im Jahre 1992 wurde die Installation "Ornitorrinco in Copacabana"auf der Siggraph Art Show in Chicago öffentlich vorgestellt.32 DreiMeilen trennten Besucher der Siggraph Art Show von dem eigentlichen Aufstellungsortder Installation. Jetzt bei der eigens für diese Veranstaltung kreiertenInstallation "Ornitorrinco on the Moon", die zwischen Chicagound Graz, über den Atlantik operiert, kommt noch Echtzeit-Ton dazu.Der grundsätzliche Aufbau ist den vorherigen Installation ähnlich;drücken Teilnehmer in Graz auf die Tasten eines normalen Telefons,steuern sie dadurch in Echtzeit das Sehen und die Bewegung des TeleroboterOrnitorrinco in Chicago. Die Zahlen auf dem Ziffernblock des Telefons entsprechenräumlichen Koordinaten (1 drücken - nach links drehen, 2 drücken- nach vorne bewegen, 3 drücken - nach rechts drehen usw.). Drücktein Teilnehmer auf 5 so stoppt er Ornitorrinco in Chicago und fordert einBild an, das zu ihm nach Graz gesendet wird. Ornitorrinco reagiert in Echtzeitauf die Anforderung, doch dauert der Bildaufbau am Bildschirm wegen derbegrenzten Bandbreite regulärer Telefonleitungen etwa 6 Sekunden.Erwähnenswert ist noch, daß sich die Zeitverzögerungenbei Telekommunikationsprozessen zwischen Erde und Mond um die 3 Sekunden,die zwischen Erde und Mars um die 30 Minuten bewegen. In der Kunst gehörendie Grundprinzipien der Fernkommunikation zu einer anderen Art von Erlebnisals jenem der Wissenschaft. Es geht hier auf ästhetischer Ebene umdie Erforschung des materiellen Ausdrucks der Veränderung von kulturellenMustern in unserer Gesellschaft: um die Unterordnung des Echt-Raums derEchtzeit. Der Mond ist hier selbstverständlich nicht der natürlicheSatellit der Erde. Diejenigen, die nach mimetischen Mondmotiven in dieserInstallation suchen, werden in ihren Erwartungen enttäuscht. Der Mondin dieser Installation ist nicht mehr als ein Bild unter vielen, durchdie sich der Teilnehmer frei bewegt, hie und da Überraschungselementenbegegnet, hie und da nie zuvor erforschte Räume entdeckt. Diese Forschungsreiseverursacht, daß seitens des Teilnehmers ein Prozeß des subjektiven"Kartografierens" ausgelöst wird. Der Teilnehmer versuchtspontan den Raum zu kartografieren aufgrund von exemplarischen Fragmenten,die er unterwegs zusammenträgt. Diese exemplarischen Fragmente werdennicht nach menschlichen Maßstäben gesammelt, sondern aus derPerspektive des Teleroboter Ornitorrinco (der zirka zwei Fuß überdem Boden steht). Jede "Karte des Sichtbaren", die aus jedemeinzelnen Erlebnis hervorgeht, ist daher einzigartig durch ihre Unterscheidungzu den erforschten Wegen anderer Teilnehmer. Jede geistige Karte bezeichnetdie Einzigartigkeit jedes Einzelerlebnisses, was heißt, daßjeder Teilnehmer eine unterschiedliche Wahrnehmung des tatsächlichenRaumes entwickelt. Der tatsächliche Raum wird also durch Nachempfindenvervielfältigt, was die Irrelevanz seines eigentlichen Charaktersunterstreicht. Aus künstlerischer Sicht sind die Eigenschaften destatsächlichen Raums in unseren Telepräsenz-Installationen (wiegeographische Lage, Größe, Farbe, Material usw.) irrelevant.Um es zu wiederholen: alles geschieht in Form eines Bildes, wobei das Bildder Raum ist. Der Teilnehmer findet Zugang zu dem Raum nur über Bilder,die er sammelt, während er sich telerobotisch in Echtzeit fortbewegt.Der tatsächliche Raum ist von Menschen lokal, körperlich undals Installation an sich, nicht zu erleben. Worum es hier geht, ist dasflüchtige, ferne Erlebnis, das über eine einzige normale Telefonleitungpassiert.
Schlusswort
"Ornitorrinco" ist sowohl Name des Teleroboters als auch desTelepräsenz-Kunstobjektes, das von Ed Bennett und mir verfolgt wird.Weder seine gegenwärtige Konfiguration noch die Teilnehmerschnittstelleist endgültig. Beide werden sie sich verändern, währendwir neue Möglichkeiten erforschen. Zur Zeit entwerfen wir Ideen fürneue Installationen und untersuchen neue Formen von sensorischem Feedbackaus der fernen Umgebung. Konform mit dem Konzept der geographischen Verlagerung,die die Titel unserer Installationen kennzeichnet, entwickeln wir jetzt"Ornitorrinco in the Sahara". Eine Kunstform, die sich mit denkulturellen, materiellen und philosophischen Verhältnissen unsererZeit auseinandersetzt, muß sich auch mit den Mitteln unserer Zeitmanifestieren. Einige der Alternativen zu dieser neuen Kunstform sind Echtzeit-Interaktive-Installationen,Robotik- und Telekommunikationsereignisse. Im Rahmen von Telepräsenz-Installationensind sie alle vereint, was auf noch weitere ästhetische Entwicklungenhinweisen kann.
Fußnoten siehe im englischen Text.
NOTES
1- William Gibson, Neuromancer (New York: Ace Books, 1984), p. 51.
2- Jacques Derrida, Of Grammatology (Baltimore and London: John HopkinsUniversity Press, 1976), p. 9.
3- Jaron Lanier: "I made up the term 'virtual reality'. Originallythe term referred to systems that used head-mounted displays and glovesthat were networked together so that people could experience a shared meetingplace in the virtual world and have the ability to design the world withsimulated tools while they were inside it. I made up the term to contrastthis technology with 'virtual environment' systems, where you focus onthe external world but not on the human body or the social reality createdbetween people." See Lanier's interview to Tim Druckrey reproducedin Digital Dialogues; Photography in the Age of Cyberspace, Ten.8, Volume2, N* 2, p. 114.
4- E.B. Uvarov, D.R.. Chapman, and Alan Isaacs, The Penguin Dictionaryof Science, (Middlesex, UK: Penguin, 1983), p. 212.
5- Op. cit., p. 211.
6- Robert A. Heinlein, Waldo & Magic, Inc. (New York: BallantineBooks, 1990), p. 133.
7- Marvin Minsky, "Telepresence," in Omni, June 1980, pp.45-52.
8- Minsky, op. cit., p. 48.
9- Minsky, op. cit., p. 47.
10- Eduardo Kac, "Aspects of the Aesthetics of Telecommunications,"in Siggraph '92 Visual Proceedings, John Grimes and Gray Lorig, eds. (NewYork: ACM, 1992), pp. 47-57.
11- Jean Baudrillard, "Requiem for the media," in Video Culture,John Hanhardt, ed. (New York: Visual Studies Workshop Press, 1986), p.128.
12- Baudrillard, op. cit., p.129.
13- Baudrillard, Simulations (New York: Semiotext(e), 1983), p. 54.
14- See Tracy LaQuey with Jeanne C. Ryer, The Internet Companion (Reading,MA: Addison-Wesley, 1992), p. 8, and Barbara Kantrowitz et alli, "LiveWires", Newsweek, September 6, 1993, Volume CXXII, N0. 10, pp. 43-45.
15- Jean Baudrillard, "The Ecstasy of Communication," in TheAnti-Aesthetic; Essays on Postmodern Culture, Hal Foster, ed. (Port Townsend,Wash.: Bay Press, 1983), p. 128.
16- Jacques Derrida, "Signature Event Context," in LimitedInc (Evanston, IL: Northwestern, 1990), p. 1.
17- Paul Virilio, L'Inertie Polaire (Paris: Christian Bourgois, 1990),p.72.
18- Paul Virilio, La Machine de Vision (Paris: Galil*e, 1988), p.128.
19- Interview with Paul Virilio in "The Work of Art in the ElectronicAge," Special Issue of Block, N. 14 (1988), Middlesex Polytechnic,Hertfordshire (UK), p. 7.
20- Scott S. Fischer, "Virtual Environments: Personal Simulations& Telepresence," in Virtual Reality; Theory, Practice, and Promise,Sandra K. Helsel and Judith Paris Roth, eds. (Westport, CT and London:Meckler, 1991), pp. 101-110. On page 107 Fischer writes: "The VIEWsystem is currently used to interact with a simulated telerobotic taskenvironment. The system operator can call up multiple images of the remotetask environment that represent viewpoints from free-flying or telerobotmountedcamera platforms. Three-dimensional sound cues give distance and directioninformation for proximate objects and events. Switching to telepresencecontrol mode, the operator's wide-angle, stereoscopic display is directlylinked to the telerobot 3-D camera system for precise viewpoint control.Using the tactile input glove technology and speech commands, the operatordirectly controls the robot arm and dexterous end effector which appearto be spatially correspondent with his own arm."
21- Abraham A. Moles, "Design and Immateriality: What of It ina Post-Industrial Society?," in The Immaterial Society; Design, Cultureand Technology in the Postmodern World, Marco Diani, ed. (New Jersey: Prentice-Hall,1992), pp. 27-28.
22- Virilio, L'Inertie Polaire, p. 129. Virilio coined the term "trans-appearance"(p. 108) to indicate that in this age of real-time transmission of sensibleappearances it is no longer light alone that lets us see, but its speed.Virilio: "Transparency is not only that of the appearance of objectsseen at the instant of the gaze. It suddenly becomes that of appearancestransmitted instantaneously over distance; therefore I propose the termTRANS-APPEARANCE of 'real time,' and not only the TRANSPARENCY of the 'realspace'."
23- Jean-Louis Weissberg, "T*l*pr*sence, naissance d'un milieud'exp*rience" in Art Press Sp*cial, Paris, H.S.
N* 12, 1991, pp. 169-172.
24- Maurice Merleau-Ponty, "Eye and Mind," in The Primacyof Perception and Other Essays on Phenomenological Psychology, the Philosophyof Art, History and Politics, James M. Edie, ed., (Evanston, Ill: Northwestern,1964), p. 160.
25- Op. cit., pp. 174-175.
26- Op. cit., p. 162.
27- Op. cit., p. 162.
28- Norman Bryson, "The Gaze in the Expanded Field," in Visionand Visuality, Hal Foster, ed., (Seattle: Bay Press, 1988), pp. 91-92.
29- Merleau-Ponty, op. cit., p. 165.
30- Merleau-Ponty, op. cit., p. 166.
31- Eduardo Kac, " Ornitorrinco: Exploring Telepresence and RemoteSensing," in Leonardo, Vol. 24, N* 2, 1991, p. 233.
32- Eduardo Kac, "Towards Telepresence Art," in Interface,Advanced Computing Center for the Arts and Design, The Ohio State University,Vol. 4, N* 2, November 1992, pp. 2-4. See also Siggraph '92 Visual Proceedings,John Grimes and Gray Lorig, eds. (New York: ACM, 1992), p. 39.
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