FACTS 35/2005, 1.9.05, Zürich
Haarsträubend
Biokünstler vertauschen Leinwand und Pinsel mit Zellkulturen und Gentransfers. Ganz neue Probleme kommen da auf Kuratoren zu: Denn wie hindert man Besucher daran, an einem künstlichen Anus aus den Gehirnzellen eines Aals zu lecken?
Ute Eberle
«Ruan» heisst das seltsame Ding. Sein Kopf stammt von einem menschlichen Fötus, sein Körper von einer Möwe. Im Kunstmuseum Bern erschreckte das vom chinesischen Künstler Xiao Yu zusammengeflickte Wesen die Besucher, sorgte für öffentliche Aufregung und musste sogar entfernt werden. Doch verglichen mit den Arbeiten der neuen Zunft der «Biokünstler» nimmt sich Yus Werk aus wie eine Kindergartenbastelei.
Man nehme etwa Me-Art, das «halb lebende» Projekt des Amerikaners Guy Ben-Ary. Dahinter verbirgt sich eine Petrischale voll lebender Ratten-Nervenzellen, die über eine raffinierte Elektronik mit einem Roboterarm verbunden ist. Animiert von einer Kamera, die als ihr «Auge» dient, kritzeln die Neuronen Muster auf Papier.
Oder Ben-Arys neuestes, noch unvollendetes Werk: eine Serie lebender Leinwände aus Herz-, Nerven- und Blutzellen, auf denen der Künstler submillimetergrosse Bilder abspielen wird, die man über ein modifiziertes Mikroskop betrachten kann. Herzmuskelzellen werden ein Hula-Mädchen zeigen. «Das Bild wird still stehen, doch weil die Zellen zucken, wird es aussehen, als ob es tanzt», sagt Ben-Ary.
Biokünstler wie er haben sich in den vergangenen Jahren etabliert. Sie arbeiten mit Zellkulturen, Gen-Transfers und künstlich erzeugten DNA-Sequenzen, wobei sie die Grenze zwischen Kunst, Forschung und Aktivismus verwischen. In ihren teils bizarren, fast immer provozierenden Werkenversuchen sie auszuloten, was uns die Biotechnologien bringen könnten. Mitglieder von Symbiotic A, einem Biokünstlerkollektiv der Universität von Westaustralien, lassen aus Tierzellen daumengrosse Skulpturen wachsen und übernehmen dazu die Tricks des «Tissue Engineering». Mit diesem Verfahren wird Gewebe ausserhalb des Organismus gezüchtet, um etwa verträglichen Knorpelersatz zu schaffen. Anderswo kreierten Biokünstler Kakteen, denen menschliche Haare spriessen, und Bakterien, in deren Genom ein Bibelspruch eingefädelt wurde.
Solche Projekte stellen Museumskuratoren vor Herausforderungen. Dürfen sie Künstlern erlauben, Besuchern genetisch veränderte Mikroorganismen zu schenken? «Wie die Forscher müssen wir uns Gedanken über das öffentliche Gesundheitsrisiko machen», sagt Adam Zaretsky, ein Biokünstler aus den USA, der beobachten musste, wie ein Ausstellungsgast eines seiner Werke ableckte. Es handelte sich um «Brainus», einen künstlichen Anus, den Zaretsky aus den Gehirnzellen eines Aals gezüchtet hatte.
Wie viele Biokünstler erledigt Zaretsky den wissenschaftlichen Teil seiner Projekte selbst. Auf seiner Webseite schildert er, wie er versuchte, einem 19 Stunden alten Zebrafischembryo den Kopf abzuschneiden, um ihn einem zweiten Embryo aufzukleben. Er wollte einen «doppelköpfigen Designerfisch » kreieren. «Ich möchte eine öffentliche Debatte über diese Technologien anregen », verteidigt sich der Amerikaner.
Feindselige Reaktionen sind dabei einkalkuliert. Doch die Szene war entsetzt, als Polizisten im Mai 2004 den US-Kunstprofessor Steve Kurtz verhafteten, nachdem sie in seinem Haus Bakterienkulturen und Laborgerät entdeckt hatten. Kurtz gehört zur Kunstgruppe Critical Art Ensemble (CAE), die offene Kritik an der Biotech-Branche übt. So arbeitet CAE an chemischen Komponenten, die genmodifizierte Soja- und Weizenkulturen verfärben. Zwar stellten sich die Kulturen in Kurtz’ Haus als harmlose Kolibakterien heraus; der Kunstprofessor wird dennoch gerichtlich verfolgt, weil er die Mikroorganismen illegal bezogen haben soll. «Keiner in den USA will mehr mit uns arbeiten, weil das FBI sie belästigt und einschüchtert », klagt ein Sprecher der Gruppe.
Bei aller Sensationsheischerei – manchmal sind die Biokunst-Projekte der Realität nur wenig voraus. Vier Jahre nachdem der Szenepionier Eduardo Kac die Welt mit einem Kaninchen schockierte, das dank eines eingepflanzten Quallengens grün leuchten kann, begann eine Firma in den USA, das erste transgene Haustier zu vermarkten: einen Zebrafisch, der rot fluoresziert.
© Tamedia AG
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