Hasengrün - Die Gentechnik und ihre Symbole
JOACHIM MÜLLER-JUNG
Warum, fragen wir uns, warum eigentlich bringt die "Bild"-Zeitung die neueste
Kreation aus amerikanischen Genlabors nicht standesgemäß auf der ersten Seite
unters Volk, wie man es von ihr erwarten darf? Ein grün fluoreszierender Rhesusaffe
ist ja beileibe kein Allerweltstier. Hat das Blatt den vermeintlichen
Sensationscharakter der wissenschaftlichen Neuigkeit etwa deshalb mißachtet, weil
womöglich einer seiner Redakteure zugegen war, als der Chicagoer Künstler Eduardo
Kac voriges Jahr seinen ebenfalls grün leuchtenden Albinohasen "Alba" in einem
französischen Labor ans Herz drückte und alsbald begann, mit dem transgenen Tier
seine Kampagne "Transgene Kunst" in ein neues Licht zu rücken? Der Hase sollte
den Kunstkonsumenten vor Augen führen, "mit welcher Vorsicht, gleichzeitig aber
mit welcher Anerkennung man an den Kern der Gentechnik herangehen muß, und vor
allem auch, welchen Respekt, welche Hingabe und Liebe auch diese transgenen Tiere
verdienen", so Kac. Nicht nur also war der technische Vorgang derselbe wie jetzt
beim Rhesusaffen "Andi", der Künstler hatte augenscheinlich auch eine breite
Diskussion über die moralische Dimension dieses ungeheuren Phänomens zu
initialisieren versucht. Der ethische Diskurs war angestoßen, aber eben bloß mit
einem Hasen.
Und Nagetiere eignen sich als Nußknacker des ethischen Diskurses sowenig wie
Wiederkäuer. Deren Leid nimmt man sich, wie in den vergangenen Wochen zu
beobachten war, erst dann ernsthaft an, wenn sich die unschuldige Kreatur als
potentieller Überträger eines tödlichen Erregers und somit als Gefahrenmoment für
den Menschen entpuppt. Der anthropozentrische Blick kam der Forschung wiewohl
seit Jahrzehnten zugute. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, hat sie die
labortechnischen Voraussetzungen geschaffen, um Abertausende transgener Tiere zu
schaffen, die allesamt als Vorbild für Andi taugen. Vor mehr als einer Generation
zum Beispiel, im Jahre 1971, ist der erste transgene Hase gezüchtet worden. Und
schon drei Jahre danach haben die Genforscher mit der Injektion von Virenerbgut in
die Eizellen von Labormäusen die massenhafte Manipulation von Versuchstieren
eingeleitet, die in den folgenden Jahren stillschweigend zur Produktion von
genveränderten Schafen, Schweinen, Kühen, Ziegen und wer weiß was noch geführt
hat. Nicht zu vergessen Andi.
Der Rhesusaffe aus Portland ist gewiß kein technisches "Meisterwerk", er ist schon
gar kein Unikat und vielleicht nicht einmal ein taugliches Symbol für die
biotechnologische Revolution, die längst im Gange ist und am ehesten noch das
"Klonschaf" Dolly als Menetekel verdient. Das Gen "GFP", das in die noch
unbefruchtete Eizelle des Affen eingeschleust worden war, ist von keinerlei
medizinischem Wert. Das mit dieser genetischen Information gewonnene Zelleiweiß
hat die für Forscher phantastische Eigenschaft, daß es hell aufleuchtet, wenn man es
mit Blaulicht anstrahlt.
Verfahrenstechnisch hat das für die Forscher gewaltige Vorteile, weil man in dem
Zellkosmos submikroskopisch kleine Moleküle in der Regel vergeblich sucht, auch
wenn sie zuhauf produziert werden. Das Leuchtprotein, das übrigens ursprünglich
von der Meeresqualle Aequorea victoria stammt, macht es den Experimentatoren in
dieser Hinsicht einfach. Ist das Gen wie erwünscht verankert und angeschaltet,
leuchtet die entsprechende Zelle. Von fast zweihundertdreißig so manipulierten Eiern
ist allerdings wenig geblieben, nur wenige Individuen haben dieses Stadium erreicht.
Andis Zellen und die seiner zwei Artgenossen leuchten auch keineswegs schöner als
beim Hasen, und deshalb wäre die wirklich interessante Frage gewesen, ob man mit
dem Experiment zu der - teuer erkauften und fahlen - Ästhetik auch noch etwas
Nützliches oder wenigstens Neues hätte beitragen können. Was das anbelangt,
beteuern die Wissenschaftler zwar eilfertig, daß das GFP-Gen im Grunde nur
Statthalter für Alzheimer- und Parkinsongene ist. Darin steckt allerdings die Tücke
dieses Verfahrens. Denn menschliche Gene sind meistens erheblich größer als kleine
Leuchteiweißgene und insofern schwer zu transportieren. Eine Schwierigkeit, die der
medizinischen Gentechnik seit Jahren zu schaffen macht und also auch mit Andi
nicht gelöst worden ist.
Versuchen wir also von dem objektiven Neuigkeitswert des Affenexperiments
abzusehen und herauszufinden, woran sich das Interesse an Andi tatsächlich
entzündet. Was Andi und seine Geschwister ja zu einem besonderen Fall in der
stattlichen Ahnengalerie der transgenen Tiere macht, ist unbestritten ihre
Verwandtschaft zum Menschengeschlecht.
Andi steht uns näher als Alba, wer wollte daran zweifeln, wenn man dem stupsnäsigen
Äffchen mit den abstehenden Ohren und dem Kinderblick in die Augen schaut Aber
wie nah steht er uns eigentlich? Stammesgeschichtlich gewiß nicht näher als
Schimpanse, Gorilla und Orang- Utan - aber doch nah genug, um moralische Skrupel
im Umgang mit den Tieren zu bekommen? Offenbar nicht, denn der Rhesusaffe wird
in den Versuchslabors der Biowissenschaften als "Tiermaterial" behandelt wie jeder
Hund, jede Ziege, Katze, Ratte und jede Maus. Zugegeben, in dieser Galerie der
Stellvertreter gibt es keinen geeigneteren Kandidaten als den Affen, wenn man eine
für das menschliche Gemeinwohl avisierte Erfindung unter das Volk bringen will.
Die Wissenschaft steht also in den Startlöchern. Gesellschaftlich mag die
Keimbahntherapie mit dem Stigma der Menschenzucht behaftet sein, doch die
Wissenschaft schreckt das nicht. Mit Andi demonstriert sie ihren unbedingten
Willen, die medizinische Zukunft mit allen verfügbaren und denkbaren Mitteln der
Gentechnik gestalten zu wollen.
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