Originally published in Süddeutsche Zeitung, 04.10.2000. Bayern Seite V2/16 / Deutschland Seite V2/16 / München Seite V2/16.


Paradies oder Albtraum

Eine Galerie in Manhattan zeigt die genetische Revolution im Spiegel der Kunst

Von Julia Karow

Mitten in Manhattan, an der Kreuzung von Houston Street und Lafayette Street, hocken drei Hühner unter blauem Himmel auf einem Zaun. Eines von ihnen hat zwar keine Federn, dafür aber sechs Flügel. Vor ihm frisst ein übergewichtiges Schwein, in dessen Inneren man ein Herz, eine Lunge und eine Niere erkennt. Daneben kauert eine nackte Maus, deren Rücken ein menschliches Ohr entwächst.

Es ist ein Plakat, von dem diese seltsamen Kreaturen auf den Betrachter herabschauen und ihn auf eine Ausstellung mit brisantem Inhalt aufmerksam machen: „Paradise Now – Picturing the Genetic Revolution. “ Gut zwei Monate, nachdem Wissenschaftler in aller Welt das Humangenom-Projekt feierten, stellen 39 Künstler aus den USA und Europa in der Galerie Exit Art im New Yorker Stadtteil SoHo ihre Interpretationen der genetischen Revolution zur Schau.

Die Ausstellung, die noch bis zum 28. Oktober läuft, soll „der Öffentlichkeit zu verstehen helfen, wie Genforschung ihr Leben verändern wird“, sagt Marvin Heiferman, einer der Kuratoren. Die Themen sind so vielfältig wie umstritten: Gentherapie, Patentrechte, Datenschutz, Identität, Ethnie, Klonen und gentechnisch veränderte Lebewesen. Insgesamt nehme die Schau jedoch „keinen moralischen Standpunkt im Hinblick auf die Genforschung ein“.

Bakterien machen bunte Bilder

Nicht alle Werke sind neu, aber die meisten stammen von Künstlern, die sich schon seit Jahren mit der modernen Genetik beschäftigen. So mannigfaltig wie die Themen sind auch die Darstellungsformen. Sie reichen von Gemälden, Fotografien, Skulpturen und Installationen bis hin zu interaktiven elektronischen Werken. Einige der Künstler haben sich die Mittel der Gentechnik für ihre Bildsprache zueigen gemacht und haben zum Teil mit Wissenschaftlern zusammengearbeitet. In ihren Werken finden sich lebende Wasserfrösche, Krebszellen, Spermien, Bäume, Gras und Bakterien verschiedener Couleur.

David Kremers aus Los Angeles etwa hat mit farblosen Bakterien gemalt, die anschließend unter geeigneten Wachstumsbedingungen farbige Enzyme herstellen und das zunächst unsichtbare Bild wie eine Geheimschrift zum Vorschein bringen. Die Bakterien leben noch und können unter geeigneten Bedingungen wieder anfangen zu wachsen.

Ebenfalls mit Bakterien arbeitet EduardoKac aus Chicago. Er sorgte außerdem unlängst mit seinem grün fluoreszierenden, transgenen GFP-Kaninchen Alba für Furore. Für sein hier gezeigtes Werk Genesis kopierte Kac zunächst den Bibelvers „Herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen“ aus einer Internetbibel. Er übersetzte ihn dann in Morseschrift, anschließend in genetischen Code. Punkt und Strich, Zwischenraum der Morsezeichen und Zwischenraum von Worten sind dabei je einem der vier „Buchstaben“ des genetischen Codes zugeordnet. Daraus ließ Kac eine DNS-Sequenz herstellen und in Bakterien einbauen. In einer Petri-Schale stehen diese Bakterien nun im Zentrum eines fast dunklen Raumes. Sie werden mit einer Ultraviolett (UV)-Lampe bestrahlt, deren Schalter über eine Webseite betätigt wird – jeder Internetbenutzer kann die Lampe an- oder ausschalten. Das UV-Licht wirkt als Mutagen und verändert so langsam die DNS, und damit auch den Bibelspruch. Genesis wird nächstes Jahr in Deutschland im Rahmen einer Ausstellung mit dem Titel „Unter der Haut – biologische Metamorphosen in der Gegenwartskunst“ im Wilhelm-Lehmbruck-Museum in Duisburg zu sehen sein.

Auch Natalie Jeremijenko bringt Leben ins Museum. Ihr „One Tree Project“ begann bereits im vorletzten Jahr, als sie hundert genetisch identische Klone eines Baumes, die aus Knospengewebe in Mikrokultur erzeugt wurden, in San Francisco ausstellte. Vier der Bäumchen sind nun in New York zu sehen, und sie sind keineswegs alle gleich. Das findet Jeremijenko bemerkenswert, „wo sie doch genetisch identisch sind und auch die Umwelt identisch ist“. Dabei sind Bäume schon immer geklont worden, indem man Reisig Wurzeln schlagen lässt, und sie entwickeln sich unterschiedlich.

Die Human Race Machine von Nancy Burson lädt zum Wechsel der eigenen Identität ein. Nachdem der Betrachter sein Gesicht auf dem Monitor eingescannt hat, kann er es durch den Computer in eine von fünf Ethnien verfremden lassen: eine afrikanische, asiatische, nordeuropäische, hispanische oder indische. Außer in New York befindet sich dieselbe Maschine zur Zeit auch im Millennium-Dom in London.

Auf dem Gemälde Bio-Gel von Dennis Ashbaugh sieht der Durchschnittsbesucher nur eine verwirrende Anordnung schwarzer Striche auf grünem Grund. Wissenschaftler haben hier teilweise andere Assoziationen. Jane Hubbard, Assistenz-Professorin für Entwicklungsbiologie an der New York University, erinnert sich bei der Betrachtung an ihre ersten Sequenziergele: „Die Bande ist da, oder die Bande ist nicht da. Dies ist eine der echten Befriedigungen der Forschung, eine Antwort zu erhalten, die noch niemand zuvor erhalten hat, und zu wissen, dass sie wahr ist. “

Mit der Form von Chromosomen spielt Suzanne Anker in ihrem Werk Zoosemiotics (Primates). Ihre detailgetreuen, etwa handtellergroßen Metallskulpturen der Chromosomen von Orang-Utans, Schimpansen, Gorillas und Gibbons hängen an der Wand und lassen sich durch eine mit Wasser gefüllte Kugelvase betrachten, die wie eine Linse wirkt und die Träger der Erbsubstanz scheinbar in Bewegung versetzt.

Auf Computermanipulationen beruhen die Fotografien von Bradley Rubenstein. Auf den ersten Blick zeigen sie glücklich lächelnde Grundschulkinder. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass sie alle mit dunklen Hundeaugen aus dem Bild starren.

„Aus Ängsten genährt“

Neben den Kunstwerken finden sich auch einige Tafeln mit Hintergrundinformationen über Molekulargenetik in der Ausstellung. „Es ist einfach anmaßend, anzunehmen, dass jedermann, der hier hereinkommt, sich mit dem Thema auskennt“, so Heiferman. Aus diesem Grund ist die Galerie außerdem Cosponsor zweier Podiumsdiskussionen zum Thema Gentechnik.

Auch einige Artefakte der Wissenschaftsgeschichte sind über die Ausstellung verstreut. So steht am Eingang ein kleines Originalmodell der DNS-Doppelhelix von James D. Watson aus dem Jahre 1953 neben einem Stapel Endlospapier, das eng mit menschlichen Gensequenzen bedruckt ist. Aber auch ein hochmoderner briefmarkengroßer DNS-Chip, mit dem sich in einem einzigen Experiment die Expression tausender Gene bestimmen lässt, findet sich unter den Objekten.

Außer Watsons DNS-Modell findet sich auch gewissermaßen ein Porträt des Wissenschaftlers, erschaffen durch den Künstler Kevin Clarke, in der Ausstellung. Es besteht aus einer Serie von Fotografien, die sowohl eine DNS-Sequenz Watsons als auch Laborregale zeigen. Bis zum Februar waren 26 solcher DNS-Porträts von Clarke bereits im Museum Wiesbaden zu sehen.

Wie reagieren Wissenschaftler auf die Ausstellung? Die meisten Werke „nähren sich aus den Ängsten der Öffentlichkeit“, urteilt Jane Hubbard. „Die Schönheit des Lebens, aus der sich die Frage ergibt, wie es geschieht und warum, „könnte noch stärker betont werden. „Aber vielleicht ist das nicht die Rolle der Kunst. “

Ausstellung: http://www.geneart.org/

Galerie mit Links zu den Homepages einzelner Künstler: www. exitart. org


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