Originally published in Der Spiegel, N. 26, 26 June 2000, p.114.


Das Kunst-Gen

Hilmar Schmundt

Berufsprovokateur Eduardo Kac hat im Genlabor ein Kaninchen bastelnlassen, das grün leuchtet. "Transgene Kunst" nennt er dasmakabre Experiment.

Eigentlich ist Alba ein ganz normales Albino-Kaninchen, vier Monatejung, mit weichem Fell, langen Flauschohren und einem neugierig schnupperndenNäschen. Doch das Niedliche schlägt unversehens um ins Monströse:Hält man Alba unter "Schwarzlicht", dann beginnt das Tierquietschgrün zu leuchten. Vergangene Woche sollte die staunende Öffentlichkeitdas enschengemachte Kunstwesen eigentlich im Rahmen des französischenMedienkunstfestivals "Avignon Numérique" (www.avignonumerique.com)bestaunen dürfen. Grünes Licht für eine neue Ära: Albaist das erste gentechnische Kunstwerk der Welt.

Doch kurz vor der makabren Premiere bekam das beteiligte Genlabor Angstvor der eigenen Courage und weigert sich nun, den manipulierten Mümmelmannfür die Zurschaustellung herauszurücken.

"Das Labor hat mein Kaninchen als Geisel genommen", jammertEduardo Kac, der sich als geistiger Vater des biologischen Kunstwerks sieht.Sloterdijk meets Elián.

Kac, 37, ist Assistenzprofessor an der Kunsthochschule des renommiertenArt Institute of Chicago. "Katz" spricht man seinen Namen aus.Seine Installationen waren ebenso im Museum of Modern Art in New York wieim Inter Communication Center in Tokio zu sehen.

Vor einem halben Jahr hat er Alba in Auftrag gegeben beim Forschungsinstitutfür Landwirtschaft (Inra) in Jouy-en-Josas bei Paris, einer staatlichenGroßforschungseinrichtung mit 8600 Mitarbeitern.

"Transgene Kunst" nennt Kac die neue Kunstrichtung, das eingepflanzteErbgut beschreibt er als "Künstler-Gen". Das Stereotyp desbesessenen Dr. Frankenstein unterläuft er durch sein Auftreten: Wennder pausbäckige Lockenkopf über seine künstlerischen Ungeheuerlichkeitenplaudert, verströmt sein honigweicher Singsang die Wärme einerSelbsterfahrungsgruppe: "Ich werde nie vergessen, wie ich Alba daserste Mal auf den Arm genommen habe", säuselt Kac, als rezitiereer aus dem Tagebuch einer 13-Jährigen: Sie "stupste gleich verspieltihre Nase in meine Armbeuge, um besser mein sanftes Streicheln zu genießen".

"Alba soll ein ganz normales Kaninchenleben führen",sagt Kac. Alba könne herumhoppeln, Möhren knabbern, sich fortpflanzen.Ohnehin greife der Mensch seit dem Mittelalter in die Evolution der Kaninchenein, allein in den USA gebe es 45 verschiedene, mit herkömmlichenMethoden der Kreuzung und Zuchtwahl herausselektierte Kaninchenrassen.Die Gentechnik setze nun einfach fort, was Kaninchenzüchter seit Jahrhundertentun.

Das Inra-Institut zum Beispiel kreiert routinemäßig "transgene"Kaninchen als "Modellorganismen", um menschliche Krankheitenzu erforschen: In seinen Labors hoppeln serienmäßig kranke Versuchskaninchenmit Herzbeschwerden, Arteriosklerose oder Aids. Um zu testen, ob das künstlicheKrebsgen erfolgreich im Erbgut eingebaut worden ist, wird es meist gekoppeltmit einem Gen, welches das Tier zum Leuchten bringt. Durch diesen Tricklässt sich mit bloßem Auge erkennen, welche Kaninchen "normal"und welche "krebsanfällig" sind.

Um Alba und seine Verwandten zum Leuchten zu bringen, hat man in derenErbgut die genetische Bauanleitung für das "Grün FluoreszierendeProtein" eingepflanzt, gewonnen aus der von Natur aus leuchtendenQualle "Aequorea victoria". Das Einpflanzen dieses Quallen-Gensfunktioniert auch in anderen Organismen wie Moskito und Maus, Frosch, Fruchtfliegeund Zebrafisch. Risiken und Nebenwirkungen sind nicht bekannt.

Ein transgenes Tier allerdings, das aus rein ästhetischen Gründengrün leuchtet, hat es bis dato nicht gegeben. Kac katapultiert dasKunstwerk in die Ära seiner biologischen Reproduzierbarkeit. Ihm Sadismusvorzuwerfen wäre verlogen, denn Kac macht nur öffentlich, wastagtäglich und seit vielen Jahren hinter verschlossenen Labortürengeschieht. Dennoch ist die Vorstellung eines genmanipulierten Kunstwesensschwer zu ertragen.

Das fand auch die Institutsleitung der Inra und weigert sich nun, dasgrün leuchtende Kaninchen öffentlich präsentieren zu lassen."Die haben Angst vor einem Skandal", sagt Louis Bec, Veranstalterdes Festivals "Avignon Numérique". "Wir wehren unsgegen diese verkappte Form der Zensur, die die Öffentlichkeit daranhindert, sich über den aktuellen Stand von Wissenschaft und Kunstzu informieren."

"Das Kaninchen blieb aus Sicherheitsgründen im Institut",entgegnet Inra-Mitarbeiter Louis-Marie Houdebine. "Die Veranstalterhatten leider keine Vorrichtungen zum Schutz des Kaninchens getroffen.Das transgene Tier könnte entweichen oder von irgendwelchen Aktivistengeklaut oder angegriffen werden."

Wieder einmal ist Kac ein tragikomisches Kabinettstückchen gelungen,eine todernste Clownerie. Seit 20 Jahren treibt er derlei provokante Scherze,allesamt dokumentiert auf seiner umfangreichen Homepage (www.ekac.org).Er machte Performancekunst am Strand seiner Heimatstadt Rio de Janeiro,versandte Gedichte per Minitel, baute ferngesteuerte Robotervögelund spendete Blut für Maschinen.

Da Kac in Avignon auf Alba verzichten musste, trat er mit elf herkömmlichenAlbino-Kaninchen auf, als eine "Hommage an Alba, die nicht bei unssein kann".

Im Übrigen sei das Wichtigste nicht das Künstlergen selbst,sagt Kac, sondern die öffentliche Debatte. Nicht das Labortier, sonderndas Publikum ist sein Versuchskaninchen. Die Alba-Episode war dabei nurein Vorspiel: Als Nächstes will Kac einen grün leuchtenden Hunderschaffen.


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